Das Rathaus

Rathaus von Lwiw. O. Sybydlo. Foto, 2017

Das Rathaus steht in der Mitte des architektonischen Ensembles des Marktplatzes. Das heutige Gebäude, bereits das vierte Rathausgebäude in der Geschichte der Stadt, wurde in den Jahren 1830 bis 1835 nach dem Entwurf von Josef Markl und Franz Trescher im Stil des Wiener Klassizismus erbaut. 1848 wurde der hohe quadratische Turm mit der Kuppel an der Spitze infolge von Unruhen zerstört und 1851 mit der mittelalterlichen zackigen Krönung des Architekten Salzmann wiederaufgebaut. Seit 1852 schmückt eine neue Uhr den Turm. Das Rathaus war Zeuge vieler historischer Ereignisse, 1578 wurde vor dem Gebäude der Nationalheld Iwan Pidkowa hingerichtet und 1648 und 1654 wurden hier die Boten des Kosakenhetmans Bohdan Chmelnyckyj empfangen. Seit 1939 ist das Rathaus ein Verwaltungsgebäude, in dem der Stadtrat seinen Sitz hat. Vor dem Eingang des Rathauses halten zwei mächtige Löwen das Stadtwappen in ihren Pranken.


Andrij Sodomora.
Die Magie der Abenddämmerung

Es ist gut, wenn eine Stadt ihre Berge hat, und noch besser, wenn sie, wie im Falle des Lwiwer Schlossberges, einen Stahlmast für die Fahne auf dem Gipfel hat. Eben dort nimmt die Sonne bei gutem Wetter von der Stadt Abschied: sie blitzt nicht golden, sondern silbern. Aber an der Rathausuhr vergoldet sie die römischen Zahlen und weht dabei mit guter Laune einen Gedanken zusammen, zum Beispiel solch einen:

Hinunterfallend, hinterm Heiliggeorgskreuz
da schaute die Sonne auf die Stadtuhr –
Die Ziffern wurden golden eine Weile
Und sprachlos sprachen sie:
Von uns ist jede –
golden…

Aus dem Ukrainischen von Alla Paslawska

Sodomora, Andrij: „Mahija nadwetschirja“. [Die Magie der Abenddämmerung]. In: Ukraina: kulturna spadtschyna, nazionalna swidomist, derzhawnist 21, 2012, S. 709.


Olesja Ljubawa.
Meine Stadt

Vor dir liegt derselbe Platz wie im 16. u. 17. Jahrhundert. In der Mitte des Platzes ist das Rathaus, das viel kleiner als das heutige ist. Im Erdgeschoss ist ein Verkaufsraum, in den oberen Stockwerken befinden sich Kanzlei- und Amtsräume. Es gibt hier auch das Zimmer für das Kollegium der 40 Männer, ein gesellschaftliches Kontrollorgan, das die Habsucht der Stadträte in Grenzen hielt. Zum größten Raum, dem „Konsularraum“ im ersten Stock, wo die Versammlungen des Stadtrates durchgeführt worden waren, führen gesonderte, weite steinerne Treppen. In diesem Raum befinden sich eine teure Sammlung von Orientteppichen, kostbare Ikonen, Schmucksachen, hochwertige Waffen, goldenes und silbernes Geschirr, Uhren, Leuchter, Porträts von Königen und Feldherren, Karten von verschiedenen Ecken der Welt, das große Wappen von Lwiw… Kaufleute und Botschafter aus der ganzen Welt verbreiteten Gerüchte über diese Reichtümer… Diese Orientteppiche schenkten übrigens Sprachmittler, d. h. Dolmetscher, der Stadt. Je höher sich der Dolmetscher selbst einschätzte, desto schöner der Teppich, den er schenkte… Ein Sprachmittler organisierte und überwachte den Handel. Er war ein Mittler bei Geschäften zwischen ausländischen und einheimischen Kaufl euten. Wenn der fremde Kaufmann nicht vor diesem Beamten erschien, so konnten ihm sogar die Waren eingezogen werden. Außerdem fungierte der Dolmetscher heimlich als Aufklärer und Spionageabwehr… Im damaligen Rathaus wurden Festessen, Hochzeiten und verschiedene Gelage veranstaltet… Dort versammelten sich auch Literaten… Und noch ein Stockwerk höher tagte die „Lava“, ein Gremium von Richtern. In diesem Saal hing hinter dem Sessel des Vogts, des Hauptrichters, ein riesiges Schwert – das Symbol der schrecklichsten Bestrafung. Und an der Wand betrachteten diese Richter während der Sitzung ein Bild mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts…

Aus dem Ukrainischen von Marija Watschko, Tetyana Lyashenko

Ljubawa, Olesja: Misto moje [Meine Stadt]. Apriori: Lwiw 2012, S. 109 ff .