Das ruthenische Viertel

Die ruthenische Straße, die den Rynok-Platz, das Herz von Lwiw, mit der östlich gelegenen Walowa-Straße verbindet, verdankt ihren Namen den hier bereits im 14. Jahrhundert angesiedelten Ruthenen (damalige Benennung des ukrainischen Teils der Stadtbevölkerung). Am Beginn der ruthenischen Straße, die so eng ist, dass hier kaum zwei Straßenbahnen aneinander vorbei können, stehen architektonische Bauwerke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Straße wird von einer für die Ruthenen wichtigen Kirche, der Himmelfahrtskathedrale, abgeschlossen.

Ruska-Strasse. O. Diachok. Foto, 2017

Roman Iwanytschuk.
Das Manuskript aus der Ruska-Straße

Ich bin aber trotzdem Gott dankbar, dass er mir geholfen hat, aus dieser schrecklichen Vorstadt auszubrechen. Obwohl es hier kaum Platz gibt – die Rus’ka-Straße ist etwa dreizehn Ellen breit – fühle ich mich, nachdem ich das Stadtbürgerrecht erhalten habe (für diese Erlaubnis habe ich 50 Zloty bezahlt), mehr oder weniger als Mensch. Und dort… dort habe ich in der Nähe vom Pesjatschyj-Markt (Hundemarkt) gegenüber vom Hontscharska-Turm (Töpferturm) gewohnt und ein Hundeleben geführt. In die Zunft wird man dich, einen Nichtstadtbürger, und dazu noch einen Ruthenen, um keinen Preis aufnehmen.

Denn wenn du zu keiner Zunft gehörst, darfst du nicht zu jeder Zeit deine Waren verkaufen. Zum Herrenvorwerk gehen bedeutet so viel wie seine eigene Freiheit verlieren und auch nicht jedem wird erlaubt, auf den Herrenfeldern zu arbeiten. Aber auf die Wälle und zu den Fahrwegen, dorthin werden die Vorstädter als erste getrieben. […]

An diesem Abend hatten die Bjaloskurski-Brüder gar nicht vor, die Fäuste zum Einsatz kommen zu lassen. Über dem Fenster von Abrekowa hing aber ein Zettel mit einem so verlockenden Aufruf, dass man kaum widerstehen konnte. Bisher hatten die Brüder nur im jüdischen Ghetto in der Krakauer Vorstadt Unfug getrieben, manchmal hatten sie auch im armenischen Viertel vorbeigeschaut, zu den Ruthenen waren sie aber noch nicht gekommen. Zur Ermunterung tranken die Bjaloskurski-Brüder Wein beim glatzköpfi gen Macko und gingen durch die ruthenische Straße, nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau haltend.

Aus dem Ukrainischen von Khrystyna Horitschko, Khrystyna Dyakiv

Iwanytschuk, Roman: Manuskrypt z wulyci Ruskoji [Das Manuskript aus der Ruska-Straße].
Piramida: L’wiw 2011, S. 24 f.