Der erste Bahnhof in Lwiw wurde im Oktober 1861 an der Stelle des heutigen Vorort-Bahnhofs erbaut. Am 4. November kam hier bereits der erste Zug aus Przemyśl an. Anfang des 20. Jahrhunderts ergab sich die Notwendigkeit, einen neuen Bahnhof zu errichten. Das mächtige Bauwerk des Hauptbahnhofs wurde der Stadt 1904 übergeben und war damals einer der größten und schönsten Bahnhöfe der damaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Europas. Das Gebäude wurde im Stil der Neorenaissance und des Wiener Jugendstils erbaut. Die Bahnhofsfassade schmücken zwei allegorische Skulpturen des Architekten Popel, die Handel und Gewerbe symbolisieren. Über dem Hauptportal ist ein allegorisches Gruppenbild mit einer Cartouche von Wijtowicz zu sehen. Die zwei mit Glas überdachten Abfahrtshallen sind ein Wunderwerk der Ingenieursarchitektur des beginnenden 20. Jahrhunderts. 2004 wurde das Hauptbahnhofsgebäude generalsaniert.

- Józef Wittlin. Mein Lemberg
- Mychajlo Jaworskyj. Der Löwenkuss
- Andrij Kokotjucha. Der Anwalt von der Lytschakiwska-Straße
Józef Wittlin.
Mein Lemberg
Ich war selten voll bei Bewusstsein, wenn der Zug bremste und triumphierend in eine der beiden Zwillingshallen, in eine der halbkreisförmig und sehr harmonisch überwölbten Glashallen des Hauptbahnhofs einfuhr. Ich bin schon in zahlreiche Hallen eingefahren auf der mühevollen Reise, die man Leben nennt, doch keine, vielleicht mit Ausnahme des Gare du Nord in Paris, hat in mir solche Erregung geweckt, solche „metaphysischen Schauder“, wie Stanislaw Ignacy Witkiewicz seligen Angedenkens gesagt hätte. Der Hauptbahnhof war das Ruhmesblatt eines jeden Lembergers. Ich weiß noch sehr genau, wie er zu Anfang unseres geliebten 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Als Knirps ging ich in Begleitung der sogenannten Bonne hin, um die Arbeiten bei der Errichtung dieses Wunders der Technik und Architektur zu betrachten, das sogar das Panorama von Raclawice in den Schatten stellen sollte. Und das tat es. Denn im gesamten Galizien und Lodomerien samt dem Großherzogtum usw. gab es kein dermaßen reich und üppig beleuchtetes Gebäude.
Józef Wittlin: „Mein Lemberg“. In: Simon, Hermann / Stratenwerth, Irene / Hinrichs, Ronald (Hrsg.): Lemberg. Eine Reise nach Europa. Ch. Links Verlag: Berlin 2007, S. 30 f.
Mychajlo Jaworskyj.
Der Löwenkuss
Die Zaliznytschna-Strasse floss mit der Horodocka-Straße zusammen. Bald erreichte ich die Kreuzung, an der ich in die Prywokzalna-Straße – eine breite gepflasterte Straße – einbog. In deren Mitte zogen sich zwei Straßenbahnschienen, der Straßenrand war von Kastanienbäumen und schwülstigen Gaslaternen umrahmt. Die Straße führte zu einem breiten Platz, hinter dem der Hauptbahnhof lag, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Kaiser Franz Joseph gebaut worden war. Wie auch andere Gebäude, die während seiner Regentschaft errichtet wurden, war der Bahnhof eine kleinere Kopie des Wiener Originals, jedoch groß genug, um der kaiserlichen Eitelkeit gerecht zu werden.
Aus dem Ukrainischen von Tetjana Sopila, Marija Watschko und Tetjana Ljaschenko
Jaworskyj, Mychajlo: Pocilunok lewa (awtobiohrafi tschnyj roman)
[Der Löwenkuss (autobiographischer Roman)]. Piramida: Lwiw 2006, S. 135.
Andrij Kokotjucha.
Der Anwalt von der Lytschakiwska-Straße
Von einem Fuss auf den anderen tretend und sich rundum umsehend, nahm ein junger Mann seine Reisetasche aus der rechten in die linke Hand und ging unsicher zum Ausgang auf den Bahnhofplatz. Dort blieb er auf dem Bürgersteig stehen, blickte auf das, wie ihm schien, majestätische, aparte und pompöse Bahnhofsgebäude. Sofort erinnerte er sich an das alte, hölzerne und noch dazu durch den Befehl seitens des General-Gouverneurs zum Abriss verurteilte Kyjiwer Bahnhofsgebäude. Der Kontrast war wirklich gewaltig und Klym hatte zum ersten Mal das Gefühl, nicht nur in einer anderen Stadt oder einem anderen Land zu sein, sondern vielmehr in einer anderen Welt.
Man hätte das Gebäude ewig betrachten können…
Aus dem Ukrainischen von Tetjana Sopila, Marija Watschko und Tetjana Ljaschenko
Kokotjucha, Andrij: Adwokat z Lytschakiwskoji [Der Anwalt von der Lytschakiwska-Straße].
Folio: Charkiw 2015, S. 23 ff.
