
Stadt der Löwen – so nennen die Einwohner Lwiws stolz ihre Heimatstadt. Kein Wunder, denn in der Stadt gibt es mehr als viertausend Löwenstatuen und Löwenabbildungen. Jede von ihnen hat ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Zweck, vermittelt aber die immer gleiche Botschaft: königliche Würde und Großzügigkeit.
Mychajlo Jaworskyj.
Der Löwenkuss
Bei solchen Spaziergängen fühle ich mich manchmal, als ob ich mich in einer Löwengrube befinden würde. Diese Löwen wohnen überall – stehen stolz auf geräumigen Plätzen, schauen von Hausfassaden herunter, bummeln durch die Gassen. Manchmal träume ich davon, dass die Löwen auf die Wände klettern, um in mein Zimmer hineinzugelangen. Die mächtigsten dieser Tierstatuen stehen vor dem Pulverturm. Ihre aus schneeweißem Marmor geschnittenen, massiven Körper liegen gelangweilt an den Treppen zum Turm. Sie scheinen zufrieden, schläfrig zu sein, aber zugleich immer bereit, jeder Gefahr zu begegnen. Meine Spaziergänge endeten oft auf dem Marktplatz, in der Stadtmitte, nördlich von der mittelalterlichen Mauer. Die Gebäude, die diesen Platz umrahmen, wurden vor ein paar Jahrhunderten gebaut. In seiner Mitte erhebt sich das Rathaus, dessen Eingang von zwei riesigen Löwen bewacht wird, die auf solche Weise dem mächtigen Gebäude noch mehr Macht geben.
Aus dem Ukrainischen von Natalja Palamar
Jaworskyj, Mychajlo: Pocilunok lewa (awtobiohrafi tschnyj roman).
[Der Löwenkuss (autobigraphischer Roman)]. Piramida: Lwiw 2006, S. 7.