Die Poltwa

Poltwa ist der Name des Flusses, der mitten durch die Stadt Lwiw fließt. In der österreichischen Zeit wurde der Fluss aufgrund der Geruchsbelästigung, und um Platz für neue Prachtbauten zu schaffen, in den Untergrund geleitet. Heute fließt die Poltwa, von einer meterdicken Betonschicht verborgen, unter der zentralen Allee und dem Opernhaus.

Anlegen des Poltwa-Kanals fur den Bau der Oper. Unbekannter Autor.Foto, um 1880

Jurij Andruchowytsch.
Das Stadt-Schiff

Noch vor dreihundert Jahren fuhren Segelschiffe aus Danzig und Lübeck auf der Poltwa, und man konnte mit bloßen Händen Atlantikaale, groß wie Schlangen, in ihrem Wasser fangen. Erst hundert Jahre sind vergangen, seit man den Fluß unter der Erde begrub. In diesem Sinne ist Lwiw der Antipode Venedigs. Hier ist der Mangel an Wasser so heftig spürbar, dass die Bewohner der ältesten Stadtviertel von jemandem träumen, der Wein in Wasser verwandeln könnte.

Andruchowytsch, Jurij: „Das Stadt-Schiff “. In: Simon, Hermann / Stratenwerth, Irene / Hinrichs, Ronald (Hrsg.): Lemberg. Eine Reise nach Europa. Ch. Links Verlag: Berlin 2007, S. 98.


Wiktor Neborak.
Etwas Lemberger Mythologie

[…] [S]tell dir vor, dass wir uns an einer Uferpromenade befinden, das ist kein dummes Gerede, das ist so, denn die Straße der Freiheit, einst Lenin-Straße, noch früher – ulica Legionerów – usw. – das ist die zugemauerte Poltwa, einst ein schiffbarer Fluss, der jetzt immer noch fließt und nur einige Meter von uns entfernt sein Wasser und seine Energie führt, wovon nach außen hin aber nichts zu bemerken ist, vor allem für Neulinge in der Stadt. […] Lwiw ist die Stadt eines verderbten Flusses, und daran denkt kaum noch jemand. […] Der gefesselte Fluss hat die ganze Stadt in seine Gefangenschaft genommen. Um die Stadt zu neuem Leben zu befreien, müsste man die Poltwa säubern und befreien, müsste man mit dieser täglichen Schmähung Schluss machen.

Neborak, Wiktor: „Etwas Lemberger Mythologie“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg. Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 101 ff.