
Die St.-Michaels-Kirche wurde ursprünglich im 17. Jahrhundert als Klosterkirche der unbeschuhten Karmeliten errichtet. Als Baumeister gilt Jan Pokorowytsch, Sohn des italienischen Baumeisters Adam Pokora. Die Kirche weist klare Züge der Barockarchitektur auf, ihre prächtige innere Ausstattung verdankt sie unter anderem dem italienischen Künstler Giuseppe Pedretti, dem Schöpfer der bis heute erhaltenen Fresken. Bemerkenswert ist der Hauptaltar aus schwarzem und rotem Marmorstein von Oleksandr Prochenkowytsch. Das Gotteshaus erlebte viele geschichtliche Ereignisse: Es war die Unterkunft der unbeschuhten Karmeliten und des Reformationsordens, ein Heim für Obdachlose, ein Lager für Kolonialwaren, Treffpunkt der Subkulturen in der späten Sowjetzeit und schließlich eine Klosterkirche.
Ilko Lemko.
Träume im Heiligen Garten
Der verstorbene Milko Huzul , der den Großteil seines Lebens in einem Lwiwer Wohnviertel unter 9-stöckigen Schachteln aus den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts verlebte, äußerte vor seinem Tod den letzten Wunsch, in die St.-Michaels-Kirche zur Begräbnismesse gebracht zu werden. […] Eine der größten Kirchen in Lwiw beeindruckte mit ihrem Ausmaß: Hier gab es erstaunlich viel Platz, viel Luft; ihre majestätischen, dekorativen Pilaster-Säulen schienen das Gotteshaus nach oben zu strecken und man musste ordentlich den Kopf zurückwerfen, um die auf der riesenhohen Wölbung gemalten Fresken zu betrachten. Auf den schönen Bogenornamenten der Seitenschiffe herrschte ein von lebendigem Optimismus gefülltes Gelb vor.
Es war ein wunderschöner, sonniger, aber nicht heißer Sommertag und lange, zarte, von der Größe der Kirche gedämpfte Sonnenstrahlen fielen durch das Dachfenster der dritten Etage nach unten und berührten leicht die hölzernen Engelsfiguren, die unter dem Meißel des berühmten Lwiwer Bildhauers des 18. Jahrhunderts, Sebastian Fessinger, entstanden waren. Die Engel sahen aus, als ob sie über dem alten, rosa-schwarzen Altar flögen.
Der Enkel des Verstorbenen, Wasyl, 17-jähriger Student des Kunstcolleges, der ein bisschen abgespannt von der Zeremonie der Begräbnisfeier und insbesondere von der metall-heiseren Stimme des Kirchensängers war, drehte den Kopf in alle Richtungen und betrachtete die Innengestaltung des Gotteshauses. Der Junge erkannte sofort die wunderschönen Fresken von Karlo Pedretti auf den Choremporen. Maria Magdalena, David, der Harfe spielte, Engel, die ihn auf verschiedenen Musikinstrumenten begleiteten, strahlten Lebensfreude aus und kontrastierten den trauervollen Vorgang der Begräbnisfeier.
Auf dem Gewölbe über dem Presbyterium waren prächtigere, spätere Fresken aus dem 19. Jahrhundert, am meisten weckte das Replikat von Michelangelos „Schlacht des Erzengels Michael mit Dämonen“ Wasyls Interesse. Die Haltung der Figuren auf der kuppelförmigen Oberfläche war extrem anzusehen, für sie existierte anscheinend keine Erdanziehung, keine Symmetrie, keine bestimmte Lage im Raum. Ziemlich sympathische und sogar nette Dämonen bewiesen ihre dämonische Natur nur durch die nach oben gedrehten Schwänze. Dieses kriegerische Motiv zog offensichtlich vor mehr als 100 Jahren, im März 1919 während des ukrainisch-polnischen Krieges, ein Geschoss an, das, nachdem es das Gewölbe durchschlagen und die Fresken beschädigt hatte, bei der Messe in die Kirche eindrang und den Pfarrer samt einiger Mitglieder der Kirchengemeinde verletzte. Eine weitere Schändung erlitten diese Fresken in den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die Kirche von Sowjetbehörden in ein Lager verwandelt wurde; sie war fast bis zur Zimmerdecke von Säcken mit Kakaobohnen gefüllt. Milko Huzul und sein Freund schrieben da auf den Fresken den Namen ihrer damals sehr bekannten Rockgruppe „Super Onkelchen“. Natürlich sind diese Aufschriften schon längst entfernt.
Aus dem Ukrainischen von Inessa Posypaj, Lyubomyr Borakovskyy
Lemko, Ilko: Sny u Swjatomu sadu [Träume im Heiligen Garten]. Apriori: Lwiw 2010, S. 7 f.