Juden und Armenier in Lwiw

Armenische Strase. A. Lenkiewicz. Foto, 1938

Seit dem 13. Jahrhundert, als Lwiw die Hauptstadt des Fürstentums Halytsch-Wolhynien wurde, gab es in der Stadt verschiedene nationale Minderheiten: neben Ukrainern Armenier, Deutsche, Griechen, Polen, Juden u. a. Diese Nationalitäten bildeten eigene Stadtviertel mit Selbstverwaltung (z. B. das armenische, jüdische oder ruthenische Viertel). Als die Stadt unter sowjetische Herrschaft gelangte, stieg die Zahl der russischen Minderheit. Auch heute hört man auf den Straßen verschiedene Sprachen, was an die ehemalige internationale und multikulturelle Vergangenheit erinnert.


Jurij Andruchowytsch.
Das Stadt-Schiff

Aber unsere Reise in den Süden hat sich damit nicht erschöpft. Noch habe ich ja die Armenier nicht erwähnt, die vor allem von der Krym zugezogen sind, wo ein kämpferischer Islam ihnen immer weniger Raum für ihre Kirchen und Kramläden ließ. Sie haben das spürbare orientalische Element in die Stadt gebracht. Perserteppiche aus Lemberger Manufakturen galten sogar als schöner denn die original persischen, gar nicht zu reden von den duftenden Substanzen, den vielfältigsten Düften und Gewürzen – Ingwer, Kardamom, Safran, Pfeffer, Muskat, Zimt; auch die Armenier selbst trugen zur Buntheit des städtischen Lebens in Lwiw bei. […]

Was die Juden betrifft, so tauchten sie in Lwiw noch früher auf als die Armenier – irgendwann gegen Ende des 14. Jahrhunderts. Unter ihnen waren nicht nur Kesselflicker, Schankwirte und Geldverleiher […]. Es gab auch gelehrte Talmudisten und Astrologen, Kenner der schwarzen Magie wie der chaldäischen Weisheit, Menschen, die im Besitz eines geheimen Wissens waren. Die letzten von ihnen wurden in den vierziger Jahren von den Nazis vernichtet, und diejenigen, die danach die Lücke füllten, waren bereits gewöhnliche, sowjetische, entnationalisierte Juden. Dieses ausgestorbene galizische Judentum hat eine Reihe herausragender Schriftsteller hervorgebracht, wie den bereits zitierten Joseph Roth, den nostalgischen Essayisten Józef Wittlin und unbestreitbar auch Bruno Schulz, eine rätselhaft wuchernde Frucht mit irritierend-süßem Nachgeschmack.

Chassidische Synagoge. Unbekannter Autor. Foto, 1918

Wer hat sich hier sonst noch niedergelassen, in den Kajüten und Laderäumen, auf Deck und in den Masten? Eine simple Aufzählung mag genügen. Serben, Dalmatiner, Arnauten, Argonauten, Tataren, Türken, Araber, Schotten, Tschechen, Mauren, Basken, Skythen, Karaimen, Chasaren, Assyrer, Etrusker, Keten, Goten, Weiße und Schwarze Kroaten, Kelten, Anten, Alanen, Hunnen, Kurden, Äthiopier, Zyklopen, Agripper, Lestrigonen, Androgene, Arianer, Zigeuner, Kinokephaloi, Elephantophagoi, Afrikaner, Mulatten und Mestizen, Malorussen, Moskophile und Masochisten. Franziskaner, Kapuziner, Karmeliter, barfüßige und beschuhte, Bernhardiner, Klarissinnen, Ursulinen, Sakramentinnen, Cäcilianerinnen. Dominikaner, Basilianer, Rastapharianer, Redemptoristen, außerdem Jesuiten, zuvor noch Trinitarier, die sich dem Freikaufen christlicher Sklaven aus orientalischer Knechtschaft verschrieben hatten. Rosenkreuzer, Studiten, Templer, Orthodoxe, Altgläubige, Rechts- und Linksgläubige. Ich bin überzeugt, sie alle haben es geschafft, hier zu sein. Wenngleich ich nur ein paar wenige erwähnt habe, meine Aufzählung mithin unvollständig ist. Denn Lwiw liegt im Mittelpunkt der Welt, jener alten Welt, die eine Scheibe war, welche auf Walen ruhte oder, nach einer anderen Version, auf einer Schildkröte […].

Andruchowytsch, Jurij: „Das Stadt-Schiff “. In: Simon, Hermann / Stratenwerth, Irene / Hinrichs, Ronald (Hrsg.): Lemberg. Eine Reise nach Europa. Ch. Links Verlag: Berlin 2007, S. 100 f.