Lwiw im Königreich Polen und Polen-Litauen (1387–1772)

Nach dem Tod des letzten Fürsten von Galizien-Wolhynien Jurij II. besetzte 1340 der polnische König Kasimir der Große Lwiw (pol. Lwów) unter dem Vorwand, die Katholiken der Stadt zu schützen. Das eröffnete der Ansiedlung deutscher Kolonisten und der Einführung des Magdeburger Rechts den Weg. Die Stadt wurde weiter ausgebaut. Neben deutschen Kolonisten siedelten sich in Lwiw verschiedene ethnische Gruppen an. Es entstanden die ersten Zünfte. Am Ende des 14. Jahrhunderts war Lwiw eine echte deutsche Stadt und so blieb es bis zum 16. Jahrhundert. Die Amtssprache war Deutsch. Allmählich entwickelte sich Lwiw zu einer wichtigen und wohlhabenden Handels- und Kulturstadt. Das 1608 gegründete Jesuitenkollegium wurde 1661 durch königlichen Erlass zur Akademie und damit zur ersten ukrainischen Universität. Nach dem Aufschwung im 15. Jahrhundert erlitt die Stadt in den nächsten zwei Jahrhunderten zahlreiche Brände (1527), Überfälle (1620 durch die Türken) und Belagerungen (1648 und 1655 durch die Zaporozher Kosaken unter Bohdan Chmelnyckyj und 1695 durch die Tataren).


Józef Bartłomiej Zimorowic.
Ruthenisches Lwiw

Józef Bartołomej Jan Zimorowicz. Zeitung „Lwowianin“, 1835

Drei Lwiws entdecke ich in einem:

[…] Das zweite, deutsche, durch Kasimir den Großen von den Ruthenen nach deren Kapitulation übernommene Lwiw, wurde, wie alle bestätigen, durch das polnische Feuer gesäubert, durch die Steinmauern, den Sachsenspiegel, die teutonische Besatzung verbessert, nun Lemburg genannt. Das dritte Lwiw, das zum polnischen geworden ist und es bis heute bleibt. Die ersten Bewohner, die nach örtlichen Sitten polnische Mädchen zu Frauen nahmen, verwandelten sich, denn fremde Sitten verschwanden allmählich und die Volkskultur veränderte sich und die Sprache vor Ort beherrschte die fremde Sprache.

Aus dem Lateinischen von Alla Paslawska

Zimorowic, Józef Bartłomiej: „Leopolis triplex czyli kronika miasta Lwowa“. [Leopolis triplex oder Chroniken der Stadt Lwiw]. In: Heck, Korneli (Hrsg.): Józefa Bartłomieja Zimorowicza pisma do dziejów Lwowa odnoszące się… Nakładem Gminy król. stoł. miasta Lwów 1899, S. 37.


Jan Długosz.
Annalen oder Chroniken

Nachdem er [Kasimir] aus seinen Adeligen und Grundbesitzern eine ausreichend große Armee gebildet hatte, marschierte er nach der Osterwoche rasch in die Rus’ ein und belagerte die Stadt Lwiw. Die Stadtbevölkerung konnte sich eine gewisse Zeit gegen die Besatzer wehren, doch bald, ausgepresst und unter schmerzlichem Hunger leidend, schickte sie ihre Abgeordneten samt den ruthenischen Adeligen, die die beiden Burgen – die Niedrige und die Hohe – verteidigt hatten, zum König: Sie würden seine Herrschaft anerkennen, er solle ihren Ritus jedoch nicht bekämpfen und ihn nicht ändern. Als der König in diese Bedingung eingewilligt hatte (er wusste ja, dass die Ruthenen, wenn er sie ablehnte, die Belagerung beharrlich aushalten und das Schlimmste ertragen würden), öffneten [die Ruthenen] die Stadttore, ließen den König mit seiner Armee herein und nach der Auslieferung der beiden Burgen erwiesen sie ihm große Ehre sowie ihren Eid, ihm in Treue zu dienen und ihm unterstellt zu sein. Nach der Eroberung der Burgen und der Stadt Lwiw fand der König dort einen den ehemaligen ruthenischen Fürsten gehörenden Speicher mit vielen Kostbarkeiten und Kleinoden von unbeschreiblichem Wert, gefertigt aus Gold oder Silber oder mit Edelsteinen geschmückt, darunter auch zwei goldene Kreuze, die dafür bekannt waren, dass sie große Stücke vom echten Kreuz des Herrn Jesus Christus enthielten. Ebenfalls dort zu finden waren zwei unheimlich wertvolle Kronen mit Edelsteinen und Perlen, darüber hinaus auch Gewänder und ein Thron, mit Gold und Edelsteinen geschmückt. All das raffte der König für seine Schatzkammer an sich. Dann marschierte der König in Wolodymyr ein und brachte die Burg, die Stadt sowie ganz Wolhynien ebengleich unter seine Herrschaft. Die Burgen in Lwiw und Wolodymyr wurden niedergebrannt, um eine mögliche Rebellion nach dem Abzug des Königs auszuschließen: Die Burgen waren aus Holz gebaut und hätten für ihre vollkommene Sicherung einer großen Menge an Soldaten und Waffen bedurft. Dann setzte der König einen seiner Ritter zum Verwalter der Stadt Lwiw und des Landes ein, damit diejenigen, die sich ihm vor kurzem unterworfen hatten, ihm aus Angst treu blieben. Danach kehrte der König heil nach Polen zurück, als Sieger mit herrlicher Beute und den großzügigen Gaben der Ruthenen.

Aus dem Polnischen von Lyubomyr Borakovskyy

Długosz, Jan: „Roczniki czyli Kroniki“. [Annalen oder Chroniken]. In: Grodziska, Karolina: Miasto jak brylant. Księga cytatów o Lwowie. Universitas: Kraków 2007, S. 6 f.


Anonymus.
Lamentatio oder Rede an seine Majestät den König

Allererlauchtester und gnädigster König! Vier Völker sind innerhalb der Mauern der Stadt Lwiw begründet, welche auch heute hier ihre Wohnhäuser, Kirchen, ja sogar die Juden ihre Synagogen haben; allen voran hat unser altes, eingeborenes Volk der Ruthenen seinen Rat und die Kirche für seinen Gottesdienst in Lwiw.

Danach kommt das polnische, armenische und jüdische. Das polnische Volk hat zusammen mit dem ruthenischen dieselben Rechte und trägt dieselben Lasten. Das armenische wiederum hat sein eigenes, und die Juden sodann haben ihre eigene Ordnung und ihr Gericht.

Unterdrückt aber werden wir, das Volk der Ruthenen, vom polnischen Volk mit einem Joch, härter als die Unfreiheit in Ägypten, nur dass man uns ohne Schwert, aber schlimmer als mit dem Schwert, samt unserer Nachkommenschaft zugrunde richtet, indem man uns die Ausübung und Einkünfte aus jeglichem Handwerk verbietet; wovon immer ein Mensch leben könnte, das wird dem Ruthenen auf der ihm angestammten Erde, in eben dieser ruthenischen Stadt Lwiw, verboten.

Wir haben Exempla, wie die Listen des Heeres Eurer Königlichen Hoheit, eines gewaltigen Heeres, das jede feindliche Macht im Umkreis in Angst und Schrecken versetzt, aus welchen Listen wir ersehen, dass es in Vergangenheit und Gegenwart Hetmänner, Rittmeister, Obristen, Hauptleute und sonstige Offiziere aus dem ruthenischen Volk gab und gibt, die Seite an Seite mit dem polnischen Volk allzeit getreu und mannhaft jegliche Feinde der Krone und Eurer Majestät zu schlagen bereit sind.

Demgegenüber dünken sich die Herren Zunftmeister und Handwerker von Lwiw, die da sind Schuster, Schneider, Fleischer, Seiler, Töpfer etc. etc, als etwas Besseres als die Soldaten Eurer Königlichen Majestät, dass sie uns in ihren Zünften zusammen mit sich selbst nicht haben wollen. Wir aber sehen etwas Größeres, das heißt die Majestät Eures Königreiches wie einen göttlichen Paradiesgarten, in dem die Bäume der unterschiedlichsten Völker blühen, unter denen das ruthenische Volk Würden und Ehrenämter wie Senatoren, Wojewoden, Kastellane in Treue auf sich vereint, welche an der Seite Eurer Königlichen Majestät stehen. Die Herren Ratsherren von Lwiw und Zunftmeister von Lwiw halten sich wohl für etwas noch Größeres, da sie uns, das Volk der Ruthenen, an ihrer Seite nicht dulden und uns vielmehr samt unserer Nachkommenschaft verderben wollen.

Allererlauchtester, gnädiger König! Wären wir auch ein sprachloses Vieh, eine Herde stummer Schafe, so müssten wir dennoch Eure Königliche Majestät anrufen! Schütze uns, du guter Hirte, vor denen, die uns mit List und Tücke samt unserer Nachkommenschaft verderben wollen. Und gib uns Ackerland, und nimm von uns Abgaben, wie da sind Wolle und Milch, und nimm uns selbst zum Dienst nach deinem Gefallen, denn es sind auch wir in gewisser Weise Gut der Republik.

Wir erbitten die heilige Gerechtigkeit und die Rettung, auf dass wir zu gleichen Freiheiten wie das polnische Volk zugelassen werden.

Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan

Anonym: „Lamentatio oder Rede an seine Majestät den König“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg. Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 30 f.


Markijan Schaschkewytsch.
Als Chmelnyckyj Lemberg belagerte
(in der Weise eines Volkslieds)

Dort auf dem Feld, dem freien, und nahe am Weg,
steht ein Zelt gar mächtig, aus Seide gewebt,
in dem Zelt steht ein Tisch, fein gehobelt und glatt,
an dem der Hetman Chmelnyzkyj Platz genommen hat,
und die jungen Kosaken staunen, dicht gereiht,
wie der Hetman vor ihren Augen lange Briefe schreibt,
seine Botschaften ins ganze Ukrainerland schickt.
Das Kosakenheer, schon ist es zum Feldzug bereit,
hat die Stadt Lemberg umzingelt, die Polen zerstreut.
Und wie der Hetman seine Rösser dorthin lenkt –
ist die Stadt wie gelähmt.
Und wie der Hetman seinen Säbel zückt –
hat sie sich tief vor ihm gebückt.
Als Morgen graut, schießen noch die Kanonen
aus der Stadt.
Als der Abend dämmert, sitzt auf den Dächern schon
der rote Hagn
und am nächsten Morgen, bevor noch die Hähne
kräh’n,
sind rings um die Stadt nur mehr die Kosaken zu seh’n,
die schießen aus ihren Büchsen die stolzen Häuser
in Brand.
Und der Hetman Chmelnyzkyj schickt einen Boten in
die Stadt
der seine Worte zu vermelden hat:
Wenn ihr den Frieden mit mir wollt,
dann bringt mir heraus drei Säcke voll Gold
und bringt mir hundert feurige Rappen heraus.
Wenn ihr aber Krieg haben wollt,
schlag ich mit dem Säbel die hohen Mauern ein
reiß mit den Rössern die stolzen Häuser ein.
In Lemberg hört man von allen Türmen Glockengeläut,
und die großen Tore stehen plötzlich off en
sperrangelweit.

Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan

Schaschkewytsch, Markijan: „Als Chmelnyzkyj Lemberg belagerte“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg. Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 40 f.

Leopolis Russiae Australis urbs. G. Braun, F. Hogenberg. Kupferstich (Fragment), 1617