Lwiw im Zweiten Weltkrieg (1939-1945)

1939 wurde Lwiw im Zuge des Hitler-Stalin Pakts der Sowjetunion angegliedert. Die Stadt wurde zum Verwaltungszentrum des Lwiwer Gebiets. Für die Bewohner der Stadt bedeutete das Terror, Massendeportationen und Massenexekutionen. 30.000 Menschen wurden aus der Stadt in entfernte Teile der Sowjetunion deportiert. Als im Juni 1941 Hitler die Sowjetunion überfiel, mussten die sowjetischen Besatzer die Stadt verlassen. Davor ließen sie jedoch die in ihren Gefängnissen Inhaftierten töten. In der Zeit des Nationalsozialismus verlor Lwiw einen großen Teil seiner jüdischen Bewohner, der von den Nationalsozialisten systematisch umgebracht wurde. 90.000 Lwiwer Juden fiehlen der Shoah zum Opfern. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 108.000 Polen und 3.500 Juden auf ehemalige deutsche Territorien repatriiert. Stattdessen wurde Lwiw mit Russen und Ostukrainern besiedelt. Von den ukrainischen Bewohnern der Stadt blieb am Ende des Zweiten Weltkrieges nur die Hälfte übrig. Das bedeutet, dass nur noch ein Fünftel der Bevölkerung der Vorkriegszeit die Nachkriegsstadt bewohnte, die ab 1944 wieder von sowjetischen Truppen besetzt wurde. Das multikulturelle und mehrsprachige Lwiw veränderte völlig sein Gesicht und seine prachtvollen Bauten wurden langsam zu verfallenden Werkstätten und Lagerräumen.


Anonymus.
Lwów wartet

Der Wind hüllt lautlos die Türme
in weißen Wolkenputz.
Schwarze Konturen der Mauern
erstarren geschlossen im Trutz.
So still ist’s in diesem Warten,
dass man sogar die Türme
hört spielen in blassgrauer Nacht.
Von selbst rühren sich schlaftrunken Glocken
der Klöppel schlägt mächtig: wir-war-ten!
Vom Heldenfriedhof klingt leise
in der Luft der Ton eines Kreuzes,
der Turm der Kathedrale neigt sich,
kommt auf das Rathaus zu.
Die Kuppel der Dominikaner
zeigt grün bekränzt ihre Stirn.
Sie fragen um Rat die uralten,
steinernen Häuser am Ring.
Dort aber in der Ferne
schicken Kirchtürme voll von Wunden
mit erhobenen Armen ein fl ehend
flüsternd Gebet zum Himmel.
Die Löwen am Eingang zum Rathaus
warten mit hängenden Köpfen,
bis dass vom Stadttor in der Feme
kraftvoll ein neuer Wind bläst –
bis dass von Türmen, von Mauern
ein tausendfach Echo hallt,
bis dass im Lachen die Freude
im Weinen der Trost erschallt.
Der Wind scheucht geduckte Häuser
treibt gefügig sie vor sich her
um vor dem Altar der Kathedrale
in Demut sich niederzuwerfen –
bis dass ihn die Botschaft emporreißt,
die da ist voll Kraft und voll Leben –
dass die Stunde des Erbarmens
geschlagen hat soeben.

Aus dem Polnischen von Alois Woldan

Anonym: Lwów wartet. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg.
Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 146–147.