Mit der ersten Teilung Polens 1772 fiel die Stadt an Österreich. In der Habsburger-Monarchie wurde Lwiw (damals Lemberg) zur Hauptstadt des neu geschaffenen Kronlandes Galizien und Lodomerien. Die Stadt wurde umgebaut, viele alte Gebäude wurden abgetragen. 1776 wurden das deutsche Stadttheater und die erste Zeitung „Gazettе de Leopol“ („Lwiwer Zeitung“) gegründet. 1783 nahm die Lwiwer Unversität mit vier Fakultäten ihre Tätigkeit wieder auf, ebenso im selben Jahr auch das Griechisch-katholische Seminarium zu Lemberg. Es wurden polnische und ukrainische Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben. Der Statthalter, das Landesparlament, drei Erzbischöfe (römisch-, griechisch- und armenisch-katholisch) und zahlreiche Konsulate begründeten in Lwiw ihren Sitz. 1817 wurde das Ossolineum (heute die Stefanyk-Bibliothek) als Forschungsinstitut gegründet. 1832 entstand auf der Basis des Griechisch-katholischen Seminariums die ukrainische Gesellschaft „Rus’ka trijcja“, die sich für die ruthenische Nationalbewegung und Vereinigung mit der zum Zarenrussland gehörenden Ostukraine einsetzte.

Lwiw war eine relativ fortschrittliche Stadt – 1853 wurde dort die Gaslampe erfunden und bereits Ende des 19. Jahrhunderts bekam die Stadt eine elektrische Straßenbeleuchtung, eine von Pferden gezogene Straßenbahn fuhr durch die Stadt und eine erste Telefonlinie wurde angelegt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bereicherten das damals größte Theater Europas (das Skarbek-Theater) und zahlreiche Gebäude im Wiener Jugendstil die Stadt. Das Flussbett der Poltwa wurde zubetoniert und überbaut und fließt bis heute unter der Hauptallee Lwiws. Obwohl die Stadt vor dem Ersten Weltkrieg im Bestand der größten Garnisonen Österreich-Ungarns war, wurde sie in der Zeit von 1914 bis 1915 von der russischen Armee besetzt, ging danach aber wieder an die Habsburger-Monarchie. Als am Ende des Krieges Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland zusammenbrachen, kam es zu heftigen Kämpfen zwischen den Polen und Ukrainern um Ostgalizien und dessen Hauptstadt Lwiw.
- Franz Kratter. Von der Stadt Lemberg
- Stanisław Wasylewski. Lemberger Geschichten
- Die Mehrsprachigkeit in Lwiw
- Johann Georg Kohl. Lemberg
Franz Kratter.
Von der Stadt Lemberg
Lemberg hat seit 14 Jahren in Vermehrung und Verschönerung ihrer Gebäude, und Anwachs ihrer Bevölkerung merkwürdige Schritte gethan, und gewinnt nach und nach alle Anlage, eine der schönsten und vorzüglichsten Städte der k. k. Erblande zu werden.
Sie mag auch in den frühen Zeiten des polnischen Besitzes in einem ziemlichen Wohlstände gewesen seyn, wie man wirklich noch Spuren davon hat, aber sie kam, wie andere Städte, durch die allgemein überhandgenommene polnische Nachläßigkeit, durch Ansichziehung aller Gewerbe des Adels, durch die daraus nothwendig erfolgende Armuth des Bürgerstandes, durch ewig wechselseitige Streitigkeiten, Unruhen, Faustrechte und Konföderationen, und endlich durch die höchst betrügerische Judenschaft in einen unbeschreiblichen Zerfall.
Bei der österreichischen Besitznehmung sah man meistens elende, zum Theil den Einsturz drohende, zum Theil schon eingestürzte Hütten und Häuser. Weil sehr viele Häuser zween, drei und vier Besitzer hatten, so wurde wenig an Reparirung gedacht. Einem gehörte der erste Stock, dem anderen der zweite, dem dritten ein paar Zimmer zu ebener Erde, dem vierten ein Gewölb, dem fünften ein Keller, und dem sechsten eine Stallung. Wenn auch der Dachstuhl eingestürzt, und der Besitzer des zweiten oder dritten Stockes aus dem Hause vertrieben wurde, so saßen doch die übrigen Mitherren des Hauses ruhig und konnten daher zu keinem Beitrag für eine Reparirung vermocht werden.

Auf Säuberungsanstalten wurde gar nicht gedacht. In der Stadt war das Pflaster so vernachläßigt, daß es beinahe mehr Gruben als Steine gab. Einige davon waren zu drei und vier Fuß tief. Alle Gattungen von Unrath wurden frey auf der Gassen ausgeschüttet, und ausgegossen. Bei nassem Wetter war der Morast so tief, daß man bis über den halben Leib hineinsinken konnte. Die Herrschaftswägen mußten beiderseits von kräftigen Hayducken unterstützt werden, sonst hätten sie bald auf diese, bald auf jene Seite stürzen müssen. Der Kaiser, als er das erste Mal nach Lemberg kam, blieb mitten in der Stadt mit sechs Pferden stecken. Für die Fußgänger waren Steine gelegt, aber so weit voneinander, daß man Mühe hatte, sie erschreiten zu können. Wer einen Stein verfehlte, lag über und über im Kothe.
Man machte sogleich Anstalten zu einem ordentlichen Pflaster, und als man den tief überhandgenommenen Unrath weggeschafft und die Steine aufgehoben, fand man drei Pflaster aufeinander liegen, wovon immer auf das verwahrloste ein anderes gelegt und wieder verwahrlost wurde.
Das schöne neue Pflaster wollte nun jedermann, nur der hier etwas mehr als bloß gewöhnlichen Delikatesse der Damen nicht behagen, denn sie machten eine Art von Zusammenschwörung, giengen zum Gouverneur und machten ihm sehr dringende Vorstellungen, das grobe, unhöfl iche Pflaster mit Stroh belegen zu lassen, weil es ihnen unmöglich wäre, die derben Stöße, die ihre Karossen davon bekämen, aushalten zu können. Dem Gouverneur that es von Herzen leid eine so gerechte Forderung den liebenswürdigen, bis zur Demüthigung einer Bitte sich herablassenden Damen abschlagen zu müssen.
Die innere Bauart der polnischen Häuser war nicht weniger elend. Durch eine schlechte, unsimetrische Eintheilung entstanden statt geräumigen Zimmern unbequeme, übelangebrachte Winkel. An Handwerkern aller Arten war ein unbeschreiblicher Mangel. Bei der schnell überhandnehmenden Einwanderung der Teutschen mußte also eine sehr große Theuerung der Wohnungen und Handwerksarbeiten entstehen, gegen welche der Staat noch immer die gehörigen Anstalten zu treff en wenig besorgt war.
Kratter, Franz: „Von der Stadt Lemberg“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen:
Lemberg. Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 55–57.

Stanisław Wasylewski.
Lemberger Geschichten
Lemberg ist eine sehr angenehme Stadt, auch wenn es im Frühjahr zur Gänze im Schmutz versinkt. Man muss eine ganze Hajduken-Eskorte aufbieten, um eine im Schlamm versunkene Kutsche wieder flott zu machen. Es konnte sogar passieren, dass der Kaiser Joseph II. mit einem Sechsergespann mitten auf dem Ringplatz stecken blieb. Was hatte denn dieser Monarch in Lemberg zu suchen? Er unternahm eine Reise durch seine eigenen Länder! Denn wir haben noch nicht erwähnt, dass dieser Allererlauchteste Herr derzeit gnädigst über Lemberg herrscht, und dass schon seit 1772 ganz Rotrussland zum Reich der Habsburger gehört. Auf dem Lemberger Rathaus, einstens mit Bildnissen von Königen und Heerführern geschmückt, hängt jetzt die Wäsche der österreichischen Soldaten zum Trocknen, und die streitbaren Bürger von Lemberg, die mit ihren Geschützen seinerzeit die Türken und Schweden in Schach hielten, feuern ihre Kanonen heute aus anderem Anlass ab – zum Namenstag des Herrn Gouverneurs. Die Stadt, die einst Chmielnicki und seinen Kosaken Widerstand leistete und sich den Tataren widersetzte, schaut heute gleichgültig zu, wie der Österreicher das städtische Arsenal plündert, „von Handfeuerwaff en 42.000 Stück, von gegossenen Geschützen 12, von Pulver in Fässern 26 Zentner“?! Aber die Stadt schaut zu, ruhig und verdutzt, weil in ihr Rokoko-Kavaliere das Sagen haben, und weil es sich erst jetzt hier gut leben lässt – und weil die polnische Adelsrepublik erst jetzt sie so richtig schätzen lernt.
Aus dem Polnischen von Alois Woldan
Wasylewski, Stanisław: „Lemberger Geschichten“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg. Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 75–76.
Die Mehrsprachigkeit in Lwiw
Galizien und seine Hauptstadt Lwiw befanden sich im Laufe der Zeit unter der Herrschaft der verschiedensten Staaten, was sich nicht zuletzt in der Alltagssprache der ortsansässigen Bevölkerung widerspiegelte und immer noch widerspiegelt. Großen Einfluss nahmen nicht nur das Polnische und das Russische, sondern unter anderem auch das Jiddische und das Deutsche. Beispielsweise kann man auch heute noch die Leute über Knödel und Kneipen sprechen hören oder Verben wie „spacyruwaty“ oder“pucuwaty“ ganz leicht nachvollziehen. Gefördert wird die sprachliche Vielfalt durch eine beträchtliche Anzahl an Institutionen und Vereinen, mehrsprachigen Kindergärten, Schulen, Ferienlagern, Sprachencafés uvm.
Johann Georg Kohl.
Lemberg
Überall in Lemberg läuft die deutsche Nationalität neben der polnischen her. Alle Inschriften auf den Straßen und öffentlichen Plätzen, wie alle Aufschriften und Bekanntmachungen bei den Kaufmannsläden, sind deutsch und polnisch. Bei den Buchhändlern gibt es eben so viele deutsche als polnische Bücher, und auf der Straße hört man beständig nur diese beiden Sprachen, so daß man hier alles immer in doppelter Gestalt sieht, wie durch eine Brille von Doppelspath.
Kohl, Johann Georg: „Lemberg“. In: Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen: Lemberg.
Wieser Verlag: Klagenfurt 2008, S. 74.