Nach der Übernahme der Macht in Kyjiw durch die Bolschewiki im Jahre 1920 und der völkerrechtlichen Anerkennung der Sowjetunion im Friedensvertrag von Riga durch Polen wurde Galizien – und damit Lwiw – dem polnischen Staat angegliedert und blieb dessen Teil bis zum Anfang des Zweiten Weltkrieges im September 1939. Die Stadt war ein wichtiges Wissenschafts-, Handels- und Kulturzentrum. Weltberühmt wurden die Lwiwer Mathematikerschule an der Universität Lwiw und deren wichtigster Vertreter Stefan Banach. 1928 entwickelte Rudolf Weigl, Professor der Universität Lwiw, einen Impfstoff gegen Fleckfieber. Trotz der Diskriminierung durch polnische Behörden entwickelte sich Lwiw zum Zentrum der ukrainischen Befreiungsbewegung. In einer kulturell produktiven Atmosphäre schufen Künstler wie die Schriftstellerin Iryna Wilde, der Dichter Bohdan-Ihor Antonytsch oder der Maler Roman Selskyj ihre Werke. Nachdem Vorlesungen in ukrainischer Sprache an der Universität Lwiw verboten worden waren, die Professoren Treue zum polnischen Staat schwören und die Studenten Dienst in der polnischen Armee nachweisen mussten, wurde 1921 eine geheime ukrainische Universität gegründet, die bis 1925 tätig war.
Józef Wittlin.
Lwóws Sage
Das war in Lwów,
Im Jahr des Herrn neunzehnhundertneunzehn.
Ukrainische Schrapnelle
Tag für Tag, Nacht für Nacht trafen die Zitadelle
Wie Satans Lachen über die Stadt platzten.
Hungrige, menschliche Gespenster
In finsteren Kellern
Ihre Rettung, Unterkunft suchend.
Auf vor Kälte zitternden Straßen
Auf dreckigen Schneespuren
Warmes Blut strickt seine siegenden Muster.
Außerhalb der Stadt, in Winniki
Mit seinen Geschützen in Wäldern versteckt
In dieser Nacht unheimlich rast.
Der Ataman der Sitsch: Petlura.
Geschosse, wutentbrannt
Wie Hunde, gehetzt auf verfl uchte Polacken
Beißen, zerfl eischen die Mauern,
von Dächern Bleche wie Haut abtragen.
Aus dem Polnischen von Lyubomyr Borakovskyy
Wittlin, Józef: „Legenda Lwowa“. [Lwiws Sage]. In: Grodziska, Karolina: Miasto jak brylant.
Księga cytatów o Lwowie. Universitas: Kraków 2007, S. 179.
Lwiw. Literarischer Reiseführer 